Grübeln
lohnt sich nicht immer - häufig entscheiden wir besser aus dem Bauch
Auf den ersten
Blick sollte es eigentlich immer ratsam sein, vor jeder Entscheidung
gewissenhaft das Für und Wider abzuwägen. „Schneller Entschluss bringt oft
Verdruss“, belehrt uns ein altes Sprichwort mahnend.
Neue Forschungsarbeiten
geben jedoch dem Diktum von Goethe Recht:
"Wer
lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste“.
Zuviel
Reflexion kann offenbar dazu führen, dass man Gegebenheiten schlechter einschätzt
und objektiv schlechtere Entscheidungen trifft, die einem später selbst leid
tun. Rein theoretisch müssten Entscheidungen eigentlich besser werden, wenn
man nicht dem allerersten Impuls folgt, sondern sich erst dezidiert mit den
einzelnen Argumenten auseinandersetzt. Entscheidungen basieren auf einer Serie von Schritten, die von der Vergegenwärtigung
des Problems über die Bewertung der Komponenten bis hin zur endgültigen
Festlegung reichen. Menschen, die ihre Wahl vorher reflektieren, sollten im
Prinzip ein differenzierteres Bild gewinnen und eine klügere, durch mehr
Kriterien geleitete Entscheidung treffen.
Nach Ansicht des amerikanischen Psychologen Timothy D. Wilson ist es jedoch
nur folgerichtig, dass das Nachdenken über Entscheidungen häufig in die Irre
führt. Er behauptet, dass Menschen in vielen Situationen keine Kenntnis von
den Motiven ihres eigenen Handelns haben. Die Antriebskräfte sind nicht
„verdrängt“, sondern wie die anderen Geheimnisse der Natur von einem
Schleier des Nicht-Wissens verdeckt, den nur Wissenschaft und Kunst lüften können.
Der Mensch ist sich selbst fremd, argumentiert Wilson, und wenn er seine
Empfindungen analysiert, orientiert er sich an vordergründigen Merkmalen, an
Aspekten, die sich leicht sprachlich ausdrücken lassen und an eingängigen
geistigen Versatzstücken, die er irgendwo aufgeschnappt hat. Aus diesem Grund
kann die Selbstbetrachtung (Introspektion) leicht in eine falsche Richtung führen
und die Entscheidungs- findung beeinträchtigen. Den ersten Beweis
lieferte Wilson vor einiger Zeit mit einem Versuch, dessen Teilnehmer fünf
Sorten Erdbeermarmelade kosten und bewerten sollten. Aber während die eine
Hälfte der Probanden sich ad hoc über den Brotaufstrich auslassen durfte,
wurde die andere angewiesen, sich schriftlich minuziös mit den eigenen
Beurteilungskriterien auseinanderzusetzen. Fazit: Das aus dem Bauch gefällte
Urteil stimmte viel stärker mit der Einschätzung professioneller Warentester
überein als die durchdachte Wahl.
Wahrscheinlich führt Grübelei besonders leicht von der „objektiv
richtigen“ Wahl weg, wenn man schwammige Eindrücke einschätzen soll, zum
Beispiel den Geschmack von Speisen oder das Aussehen eines Bildes, meint
Wilson. Dann zieht man vermutlich Kriterien zu Rate, die einem „rational“
und „logisch“ dünken, die jedoch den intuitiven, animalischen Vorlieben
zuwiderlaufen. Ähnlich war es auch den „Grüblern“ in der
Marmeladenstudie ergangen. Sie hatten ihre Bewertung nämlich an abstrakten
Kriterien wie „sauer“, „herb“ oder „grob“ festgemacht; die eher
den Bedürfnissen des Intellektes als denen des Gaumens entgegenkamen. Die gleiche Tendenz
fand Wilson bei einem Experiment, dessen Teilnehmer eines von fünf vorgeführten
Postern behalten durften, Zwei waren Wiedergaben impressionistischer Gemälde,
bei den anderen handelte es sich um zwei mit ulkigen Sprüchen unterlegte
Tierfotos und eine bunte Kinderzeichnung. Auch bei diesem Experiment durfte
ein Teil der Probanden sich spontan für eine Option entscheiden, während die
übrigen erst „sinnieren“ mussten. Der Zwang zur Überlegung, prophezeite
Wilson, würde den poppigen Illustrationen zugute kommen. Deren Vorzüge sind
nämlich leichter in Worte zu fassen als die der künstlerischen Bilder. Tatsächlich
votierten die nachdenklich gemachten Probanden häufiger für die
possierlichen Fotos und die Kinderzeichnung, während die anderen durchgehend
die Impressionisten bevorzugten. Doch als Wilson drei Wochen später noch
einmal telefonisch nachhakte, waren erstere wesentlich unzufriedener mit ihrer
Wahl und bekundeten, sie hätten sich gerne anders entschieden.
Die Eingebungen der Ratio sind anscheinend oft nur „aufgepfropft“ und
werden nach einer gewissen Frist wieder durch die Präferenzen ersetzt, die
direkt aus dem Bauch kommen, folgert der Psychologe aus dieser Tendenz. Mit
seinem neuesten Experiment hat Wilson jetzt den Beweis erbracht, dass übertriebenes
Nachdenken sogar bei der Einschätzung der eigenen Partnerschaft in die Irre führt.
Der Forscher ließ seine Probanden die Qualität der Beziehung zu ihrem
Lebensgefährten bewerten. Einige Teilnehmer ergingen sich in ausführlicher
Selbstreflexion und analysierten die Gründe für ihre Bewertung. Andere gaben
einfach spontan eine allgemeine Einschätzung ab. Mehrere Wochen später
wurde die Beziehungsqualität der Befragten erneut sondiert. Wie bereits zu
erwarten, zog die Selbstspiegelung die Fähigkeit zur Bewertung der Beziehung
in Mitleidenschaft. Diejenigen, die ihre Gründe analysierten, waren weniger
gut in der Lage, die Beziehungsqualität zum zweiten Testzeitpunkt
vorherzusagen als jene, die schlicht und einfach aus dem Bauch argumentierten.
Auch einfache Erinnerungsleistungen können durch das Reflektieren und Verbalisieren
schlechter werden. Das bewies der US-Psychologe Jonathan Schooler, als er
Probanden das Video eines Bankraubs zeigte. Ein Teil der Leute wurde darum
gebeten, das Gesicht des Räubers in so vielen Details wie möglich zu
beschreiben. Die anderen wurden damit beschäftigt, die amerikanischen
Bundesstaaten aufzuzählen.
Beim anschließenden
Widererkennungstest unter sieben ähnlichen Fotos erzielten diejenigen, die
eine ausführliche Beschreibung abgegeben hatten, um 26 Prozent weniger
Treffer als jene, die sich mit den Bundesstaaten ablenkten. „Verbalisieren
hat eine sehr spezifische Wirkung“, meint Schooler. „Es beeinträchtigt
das intuitive Urteil.“
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